Montag, April 09, 2007

Didaktik der Wertform

Der erste Teil ist ein sehr schöner Beitrag zur Didaktik derWertformanalyse, ab da wo er den Poulantzas positiv aufnimmt und den Staatunvermittelt als ens sui generis ainführt wird es schwach. Das Ende gehtwieder, gefällt mir sogar sehr gut, vor allem auch im Bezug aufPositionen wie die Gegenstandpunkt - Position.liebe Grüße aus WienFranz

aus: Möller, Peters, Vellay (Hg), Dissidente Praktiken.U.Helmer-Verlag 2006
Inhalt
ZurEinführung..................................................................9
Zur Stiftung.....................................................................23
Living for ChangeGrace Lee Boggs..............................25
Teil I: Landnahmen von unten................................... 39
Gebrauchsrechte in »public domain« – Gemeinheiten in der StadtIrinaVellay............................................................41
Detroit Summer: Wiederaufbau unserer Städte von Grund aufSharonHowell...........................................................63
Temporäre Nutzungen – Stadtgestalt zwischenSelbstorganisation und Steuerung?
Sylvia Kruse, Anja Steglich..........................................73
Zwischen Prekarität und Emanzipation:Topographien urbaner Selbstorganisationin Armutsräumen von Rio de Janeiro und Buenos Aires
Stephan Lanz................................................................93
KraftWerk1 – ein selbstorganisiertes Wohnprojekt:Herausforderungen und Lösungsansätze
Bettina Büsser und Kathrin Lüssi........................... 113
Simplicité volontaire et décroissance – kollektive soziale Praxis?Lena Müller..........................................................................122
»Selbst«-Organisation – es ist gar nicht so einfach!
Anna Kreikemeyer und Hilmar Kunath................ 129
Frauen in Afrika und in Zentralamerika kämpfengegen die globalen Konzerne und für ihre SubsistenzMaria Mies..............................................137
Wasser – Inspiration, Reichtum und Konfliktpotenzial –Basisorganisierung in Uruguay und Kunst, ein Austausch
Cornelia Schlothauer................................................141
Cecosesola – eine Kooperative in Venezuela der besonderen ArtPeter Bach...........................................................................157

Teil II: Positionen....................................................171
Risse nutzen – Verschiebungen leben und erfahren
UllaPeters................................................................173
Ganzheitliche Reproduktion des Lebens –auf der Suche nach alternativen Kriterien
Anneliese Braun......................................................185
Was ist Ökonomie? Genderbewusste Wirtschaftsethik –Vorsorgendes Wirtschaften – Lebensweltökonomie
Ulrike Knobloch......................................................206
Umrisse der konkreten Utopie einer Selbstentfaltungs-Gesellschaft
Annette Schlemm...................................................212
Versorgung selbst organisieren
Elisabeth Voß..........................................................231

Vom Ende der Ware. Theoretische Kritik und emanzipatorische Praxis
Andreas Exner........................................244



Utopieren heißt probieren
FriederikeHabermann........................................270
AutorInnen...........................................................283

Vom
Andreas Exner
Ende der Ware Theoretische Kritik und emanzipatorische Praxis

Sprechen wir in emanzipatorischer Perspektive über »Prozesse sozialer Selbstorganisation«, so denken wir Selbstorganisation als Gegensatz zur heute dominanten Organisationsform sozialer Prozesse, das heißt imGegensatz zur kapitalistischen Produktions- und Lebensweise.1 Diese Behauptung führt zu einer zweifachen Fragestellung. Erstens gilt es zu klären, inwiefern diese Organisationsform Resultat bzw. Ursache von Fremdbestimmung ist, zweitens ist danach zu fragen, unter welchenVoraussetzungen, auf welche Weise und in welcher Richtung sie überwunden werden kann. Gehen wir davon aus, dass sich die Stabilität der Verhältnissegleichermaßen materiellen wie diskursiven Praxen verdankt, und dass letztere unter anderem im wissenschaftlichen Feld – inner- wie außerhalbder Universitäten – situiert sind, dann ist theoretische Kritik als wesentliches Element emanzipatorischen Handelns zu begreifen. Dies umsomehr, als eine Affirmation der Verhältnisse heute bis weit in das »oppositionelle Spektrum« reicht. Aus Platzgründen setze ich im Folgenden daher den Schwerpunkt auf die erste Frage.

Warenproduktion und FremdbestimmungÖkonomische Okkultismen
Der Alltagsverstand versteht ebenso wie die Volks- undBetriebswirtschaftslehre unter Kapital nichts weiter als ein Ding. DiesesDing freilich scheint reichlich mysteriös, betritt es doch inunterschiedlichster Gestalt die Bühne: Kapital, das sei zum einen Geld,zum anderen Infrastruktur, Maschinerie und Boden, ja neuerdings auch diezum human capital geadelte Arbeitskraft – schlicht alles, was Produktionunter kapitalistischen Verhältnissen benötigt.Was nun aber das spezifisch Kapitalistische an diesen Verhältnissendarstellt, bleibt dabei bestenfalls im Ungefähren. Ist ein Werkzeug ausder Steinzeit genauso Kapital wie das Geld eines Investmentfonds? Wasmacht so Unterschiedliches wie Infrastruktur, Maschinerie, Wissen undsoziale Fähigkeiten, zusammen mit Münzen und Banknoten – geprägtem Metallund bedrucktem Papier also – zu einem Etwas namens Kapital?Abstrakt gesprochen meint der Begriff des Kapitals etwas Allgemeines, dassich durch unterschiedliche Formen (Geld, Ware, Arbeitskraft) hindurcherhält und vergrößert. Dieses Allgemeine – und damit sei vorweggenommen,was ich im Folgenden noch ausführe – bestimmt Marx als den Wert; Wert imSinne einer abstrakten, gesellschaftlich gültigen, also objektiven,absoluten Qualität.2Betrachtet man die zeitgenössische ökonomische Theorie, so ist einAnknüpfungspunkt für diese Auffassung schwerlich zu entdecken. Sie hat denWertbegriff zwar nicht in jedem Fall und gänzlich eliminiert, einertieferen Reflexion in aller Regel jedoch entzogen. Indes bezeugt schon diein der Ökonomie alltägliche Redeweise, die nicht auskommt ohne Wertverlustund Wertsteigerung, Anlage und Sicherung des Werts usw. gerade dieallgegenwärtige Präsenz des Werts im ökonomischen Handeln und Denken.So mag es nicht verwundern, dass nicht allein ein gängigermakroökonomischer Begriff wie der des Bruttosozialprodukts, Jahreswert derProduktion eines Landes, auf eine addierbare, abstrakte und objektiveGröße – den Wert – verweist, sondern auch die verbreitete Vorstellungeines »wirtschaftlichen Kreislaufs«, der sich schlechterdings nicht aufeine stofflich - konkrete Menge beziehen kann, vielmehr eineunsinnlich-abstrakte Größe bezeichnen muss.Zweierlei Wert?Der Wert zeigt einen im ersten Moment geradezu okkulten Doppelcharakter.Wert muss einerseits etwas Subjektives sein, rückführbar auf Menschlich-Individuelles – kann es sich bei den abstrakten Zahlenwerten der Ökonomie,ob Bruttosozialprodukt, Euro, Profit oder Zinsen, doch schwerlich umnaturgegebene Dinge oder eine Quantifizierung natürlicher Größen handeln;andererseits erscheint der Wert als etwas Objektives, denn keineswegshängt seine Existenz vom individuellen Willen ab.Sofern die akademische Ökonomie zwischen objektiven und subjektivenWerttheorien schwankt, kommt darin also eine durchaus realeJanusköpfigkeit des Werts zum Ausdruck.3 Während erstere jedoch denobjektiven Charakter des Werts hypostasieren undnaturalistisch-substanzhaft auffassen, verfallen letztere in denumgekehrten Trugschluss, der Wert sei der subjektiven Bestimmungunterworfen und eine rein geistige Erscheinung, Produkt der Vorstellung4. Beiden Zugängen entgeht somit das primäre theoretische Problem, nämlichden Wertbegriff und seinen eigentümlichen Doppelcharakter selbst einmal zu entschlüsseln, das heißt nachzuweisen, wie eine historisch bestimmte gesellschaftliche Praxis ihn bedingt als reale Kategorie, als eine »gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenform( en) für dieProduktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten Produktionsweise, der Warenproduktion« (MEW 23, S. 90). So liefern sie lediglich konkurrierende Erklärungsmodelle für Wertgrößenbzw. die Wertverhältnisse zwischen Waren. Im Fall der objektivenWerttheorien klassischer politischer Ökonomie (namentlich bei DavidRicardo) werden diese auf Arbeitsmengen, die zur Herstellung von Waren notwendigen Arbeitszeiten zurückgeführt (Arbeitswerttheorie), im Fall der subjektiven Werttheorie neoklassisch-marginalistischer Provenienz hingegenmit dem Grenznutzen einer Ware begründet (Nutzentheorie des Werts), demNutzen also, den eine zusätzliche Einheit eines Produkts einer Konsumentin verschafft. Sowohl in der klassischen wie auch der marginalistischen Theorie bleibt unklar, woher die soziale Form namens Wert, das heißt: dieWertgegenständlichkeit, die Eigenschaft von Gegenständen also, Wertdarzustellen, rührt.5 Wert als Form wird in beiden Fällen unhinterfragt vorausgesetzt.

Das Warenuniversum
Um den Wert und seinen Zusammenhang mit den konkreteren ökonomischenKategorien (Geld, Preis, Lohn, Kapital, Profit, Zins, Rente) zuentschlüsseln, wählt Marx im Kapital als Ausgangspunkt der analytischenDarstellung die isolierte Ware, »Elementarform« des Reichtums inGesellschaften, in denen die kapitalistische Produktionsweise herrscht(MEW 23, S. 49).6Der Reichtum, die Produktenwelt dieser Gesellschaftsform tritt uns konkretin der historisch spezifischen Gestalt einer »ungeheuren Warensammlung «(a. a. O.) entgegen. Waren sind nicht bloß konkret-brauchbar, sondernebenso abstrakte, sinnlich nicht erfahrbare Wertgegenstände. Die Ware istdamit ein eigenartig doppelgesichtiges Phänomen, »sinnlich übersinnlichesDing« (a. a. O., S. 85). Als konkrete Gegenstände oder Dienstleistungensind die Waren unvergleichbar. Als Träger von Wert hingegen ist jederqualitative Unterschied zwischen ihnen ausgelöscht und in einenquantitativen verwandelt. In Warenform ist das Produkt eine Einheit vonGegensätzen: konkreter nützlicher Gegenstand (Gebrauchswert) undabstrakter Wert in Einem.Wert erscheint wie eine Natureigenschaft der Waren, wie Farbe, Geruch oderFestigkeit. Marx zeigt in der Wertformanalyse des ersten Kapitels desKapital (MEW 23) nun unter anderem, dass der Wert eine soziale Eigenschaft ist, die den Produkten nur quasi-natürlich anhaftet. Wert nämlicherscheint – im einfachsten Fall – erst im Verhältnis zweier Waren, in derForm des Tauschwerts. Ware A ist Ware B wert – diese Beziehung bildet deneinfachsten denkbaren Wertausdruck, die »einfache Wertform« in derTerminologie von Marx. Eine einzelne Ware hat isoliert betrachtet zwareine Farbe, wert ist sie hingegen nichts, als Wertding ist sie nichtdenkmöglich.Damit unterscheidet sich die Werteigenschaft von allen natürlichen undsozialen Eigenschaften: Ein Auto ist nicht rot, nur weil es neben einemanderen Auto steht – Farbe kommt den Gegenständen unabhängig von jeglichemVerhältnis zu. Ein Untergebener wiederum ist Untergebener bloß imVerhältnis zu seinem Vorgesetzten – ein Einzelner hingegen nicht.»Bei der Wertgegenständlichkeit scheint nun aber eine Eigenschaft, die nurinnerhalb einer Beziehung existiert, eine gegenständliche Eigenschaft derDinge zu sein, die ihnen auch außerhalb dieser Beziehung zukommt« (Heinrich, 2004, S. 52). Marx spricht daher auch von einer »gespenstigenGegenständlichkeit« des Werts (MEW 23, S. 52) sowie vom »Fetischcharakterder Ware« (a. a. O., S. 85). Der Fetischismus ist nicht auf die Warenformbeschränkt, sondern Merkmal aller ökonomischen Formbestimmungen, dieallesamt Ausdruck davon sind, dass gesellschaftliche Verhältnisse derMenschen »die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen « (a.a. O., S. 86) annehmen.Der Warenproduzierenden »eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie«– und das ist zentrales Moment des modernen Fetischismus – »die Form einerBewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, anstatt sie zukontrollieren« (a. a. O., S. 89). Gesellschaftliche SubstanzIm Mittelpunkt einer kritischen Werttheorie steht die Frage, was dieKonstitution der Gesellschaft über Warentausch für die Form dergesellschaftlichen Gesamtarbeit bedeutet; wie sich die Privatarbeiten auf die Produktionszweige verteilen, wie die Privatarbeiten also zu begreifensind als Glieder einer gesellschaftlichen Gesamtarbeit – denn dies drücktsich in der Wertgegenständlichkeit der Produkte aus (vgl. Heinrich, 2001a,S. 208ff.; 2004, S. 42ff.). Zwar stellen die meist von Frauen ausgeübten Tätigkeiten im Bereich des»Häuslichen« die Grundlage aller anderen Arbeiten her, indem sie dieReproduktion der Ware Arbeitskraft sichern. Im Unterschied zum Wertnormaler Waren, in den der Wert der Produktionsmittel ebenso eingeht wieder Neuwert, den die Arbeit zusetzt, ergibt sich der Wert der »besonderenWare Arbeitskraft« allerdings lediglich aus dem Wert der Lebensmittel undeinem »historisch-moralischen Element« (Karl Marx).Reproduktionsarbeit gilt notwendigerweise nicht als wertbildend (vgl. Heinrich, 2001a, S. 260ff.; 2004, S. 92) und daher auch nicht alsgesellschaftliche Arbeit, sondern verschwindet gewissermaßen in einem »Schattenreich «. Sie schafft keinen Mehrwert und ist zwar Voraussetzung,aber nicht Teil des kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisses.Die Wertvergesellschaftung ignoriert damit strukturell einen weitenBereich von Tätigkeiten – laut Zeitbudgetstudie des StatistischenBundesamtes zwei Drittel der gesellschaftlichen Gesamtarbeit (Möller,1998) –, die erst eine Überwindung von Warentausch und Wert aus ihrem»Schattendasein« befreien kann (mitsamt seinen geschlechterspezifischenZuschreibungen; siehe dazu unten).Die praktisch vollzogene Abstraktion von jedweder qualitativen Differenzder Produkte innerhalb des Warentauschs impliziert, dass dieselben nurmehr als Inkorporationen abstrakt gleicher Arbeit, abstrakter Arbeit alsogelten.Abstrakte Arbeit ist nicht eine besondere Art von Arbeit (etwa monotonerFließbandarbeit), sondern Abstraktion von der Ungleichheit der konkretenArbeit (Tischlern, Schreiben, Unterrichten usw.) der privat Produzierendenim Tausch. Konkrete Arbeit produziert Gebrauchswert, abstrakte Arbeithingegen bildet die gesellschaftliche »Substanz« des Werts.Folglich bestimmt die im gesellschaftlichen Durchschnitt notwendigeabstrakte Arbeitszeit, die erst und allein im Tausch »sichtbar« wird – imUnterschied zur konkreten Arbeitszeit konkreter Arbeit, die mit der Uhrmessbar ist – die Wertgröße einer Ware.7Mit der von der Konkurrenz um den Mehrwert getriebenen Entwicklung derProduktivkraft ist damit ein Standard für alle Warenproduzierendengesetzt, den sie auf Gedeih und Verderb halten müssen. Benötigen sie fürdie Herstellung einer Ware länger als dieser Standard vorgibt, gilt diesesMehr an Arbeit nicht als gesellschaftlich und bildet keinen Wert; einTisch von bestimmter Qualität und Proportion etwa ist nicht deshalb mehrwert, weil er in drei Tagen statt in der üblichen halben Stunde produziertwurde.Eine Geldwirtschaft ohne Geld?Die akademische Ökonomie leitet Geld pragmatisch und historisch aus demTausch bzw. der Arbeitsteilung ab (Rakowitz, 2000, S. 121ff.). Geld würdedemnach einen geschichtlich vorgängigen Naturaltausch unter denBedingungen fortgeschrittener Arbeitsteilung lediglich vereinfachen – eineAnsicht, die Marx mit den Worten ironisiert, Geld sei in diesemVerständnis nichts anderes als ein »pfiffig ausgedachtes Auskunftsmittel«(MEW 13, S. 36f.).Die Wertformanalyse hingegen zeigt, dass ein System allgemeinenWarentauschs nur geldvermittelt denkbar ist. Der innere Widerspruch, der»ideelle Doppelcharakter« der isoliert betrachteten Ware, sowohlGebrauchswert als auch Wert zu sein, löst sich begrifflich auf erst mitder materiellen Verdopplung in Ware und Geld. Ware erscheint dann alsGebrauchswert, Geld hingegen als inkarnierter Wert, selbstständiges Daseindes Werts, als allgemeines Äquivalent, auf das sich alle Waren als Werteund damit auch aufeinander beziehen lassen.Geld tritt nicht der Vereinfachung des Warentauschs wegen äußerlich hinzu,sondern ist konstitutiv für den gesellschaftlichen Zusammenhangvereinzelter Warenproduzierender. Folglich ist unabhängig vom Geld wedereine Bestimmung der Wertgröße der Waren noch überhaupt ein allgemeinerWarenaustausch möglich.In welche Widersprüche sich der Versuch verstrickt, Wertgrößen unabhängigvon Geld und Tausch bestimmen zu wollen, zeigt das vom Sozialisten PierreJoseph Proudhon entwickelte Modell einer Stundenzettelökonomie, mit dem erden Kapitalismus zu überwinden glaubte. Dabei sollen die Arbeitszeitenaller privat Produzierenden auf Arbeitsstundenzetteln vermerkt werden, dieeine Tauschbank verwaltet. Mittels der Stundenzettel sollten die jeweilsbenötigten Waren »zu gleichen Werten« eingetauscht werden können.Diese Tauschbank hätte allerdings, wie Marx feststellt, unlösbareAufgaben: sie müsste den Tauschwert aller Waren auf Basis der Arbeitszeitauthentisch fixieren; dazu müsste sie die gesellschaftlichdurchschnittlich notwendige Arbeitszeit für alle Waren bestimmen(andernfalls würden die Langsamsten die wertvollsten Waren produzieren);damit alle Produzierenden auf gleichem Produktivitätsniveau arbeitenkönnten, müsste sie die Arbeitsmittel verteilen; dies wäre auch vonnöten,um die Produktivkraftentwicklung und damit die Wertverhältnisse der Warenkontrollieren zu können; um die Stundenzettel konvertibel zu machen,müsste sie auch die Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiedenenProduktionszweige organisieren; damit die Bedürfnisse der Arbeitenden imAustausch befriedigt würden, müsste sie auch diese ermitteln undabgleichen. (vgl. Reichelt, 2001, S. 190f.; Rakowitz, 2000, S. 80ff.).Die Tauschbank entpuppt sich so, ganz im Gegensatz zur Intention von Proudhon, als ein Moloch vom Schlage des realsozialistischen Staatskapitalisten. Würde eine »Tauschbank« hingegen nur die Buchführungder gesellschaftlichen Produktion erledigen, so gäbe es weder einen individuellen Austausch noch eine quantitative »Bewertung« bzw.Wertgegenständlichkeit der Produkte (Rakowitz, a. a. O.).

Der wirkliche Gott
Der Wert, dessen stofflicher Träger die Ware ist, stellt den gesellschaftlichen Zusammenhang als einen Zusammenhang von Dingen her. Ineiner Gesellschaft, die für ihren Bedarf in privater Form produziert, istdie Vermittlung der Beziehungen der Personen durch Sachen notwendigesResultat.Die real existierenden gesellschaftlichen Beziehungen werden nicht bewusstals solche hergestellt, die wechselseitige materielle Abhängigkeit wirdnicht auf direkt-kommunikativem Wege reguliert, der gesellschaftlicheStoffwechsel nicht auf gesellschaftlicher Ebene kontrolliert.Gesellschaftlichkeit erhält eine von ihr unterschiedene, sachliche Gestaltim Geld und wird solcherart in die Produkte projiziert. Insofern diesozialen Beziehungen ein dingliches »Eigenleben« annehmen, gerade so als existierten sie außerhalb der Sozietät, erscheinen sie in der Form von –logisch unmöglichen, in diesem Sinne real-absurden, verkehrten –Ding-Beziehungen.Rückwirkend beherrscht die vergegenständlichte Projektion, als wären dieProdukte von Geisterhand beseelt, das gesellschaftliche Handeln in Gestaltvon Sachzwängen, versachlichten sozialen Zwängen. Die Stichwörter diesesallgegenwärtigen Phänomens sind wohlbekannt: Wirtschaft muss wach- sen;Unternehmen müssen Profit machen; zum Leben braucht man Geld; wer nichtkonkurrenzfähig ist, muss weichen usw. Anders als vor- und nicht-moderneFetischformen (etwa in Gestalt der Religion) entscheiden gesellschaftlicheSachzwänge dieser Art buchstäblich und unmittelbar über Tod und Leben. Wo sich der Sozialzusammenhang über Geld und Ware, also über den Austauschvon Wertgleichem, Äquivalentem herstellt, ist Mehrwert bzw. Mehrgeld(Profit) dominanter Produktionszweck, Geld als Mittel desgesellschaftlichen Stoffwechsels zugleich selbst Zweck der produktivenAktion.»Dass dieser Mittler nun zum wirklichen Gott wird, ist klar, denn derMittler ist die wirkliche Macht über das, womit er mich vermittelt. SeinKultus wird zum Selbstzweck. Die Gegenstände, getrennt von diesem Mittler,haben ihren Wert verloren. Also nur, insofern sie ihn repräsentieren,haben sie Wert, während es ursprünglich schien, dass er nur Wert hätte, soweit er sie repräsentierte. Diese Umkehrung des ursprünglichenVerhältnisses ist notwendig« (MEW 40, 446). Notwendig ist diese Umkehrung,weil Reichtum und Individuum als gesellschaftliche nur gelten in der Formvon Geld und Geldbesitzerin, nicht als konkretes Produkt und Individuum.Geld nun unterscheidet sich von sich selbst allein der Menge nach. Wo GeldProduktionszweck ist, existiert deshalb der Imperativ zur Mehrgeld-, dasheißt Profitproduktion. Aus 100 € kann man 1000 € machen und so fort; mit100 € 100 € zu produzieren, macht hingegen keinen Sinn. Das Profitmotivschließlich ist endlos, denn an sich selbst findet das Geld alsProduktionszweck keine Grenze. Diese »innere Natur« des Kapitals machtsich den einzelnen Kapitalisten gegenüber geltend als äußerer Zwang derKonkurrenz. Damit nun sind wir bei einem ersten Begriff des Kapitalsangelangt: die rast- und maßlose, verselbstständigte, auf sich selbstbezogene Verwertung des Werts. Sofern wir das Kapital aus der Perspektiveder Zirkulationssphäre, des Warentauschs betrachten und vomProduktionsprozess der Waren einmal begrifflich absehen, erscheint es alsein »automatisches Subjekt« (MEW 23, S. 169). Kapital also ist kein Ding, sondern die gesellschaftliche Form der Produktion voneinander scheinbar unabhängig Produzierender. Anders gesagt:Kapital ist die Projektion des gesellschaftlichen Lebens in die Produkteder Gesellschaft.Die Masken der subjektlosen HerrschaftIm Unterschied zu den überwiegend persönlich-konkretenAbhängigkeitsverhältnissen des Feudalismus dominieren in der bürgerlichenGesellschaftsformation Abhängigkeiten versachlichten, unpersönlichen,abstrakten Charakters. »Das sachliche Abhängigkeitsverhältnis ist nichtsals die den scheinbar unabhängigen Individuen selbstständiggegenübertretenden gesellschaftlichen Beziehungen, d. h. ihre ihnen selbstgegenüber verselbstständigten wechselseitigen Produktionsbeziehungen«,weshalb »diese sachlichen Abhängigkeitsverhältnisse im Gegensatz zu denpersönlichen auch so (erscheinen) (...), dass die Individuen nun vonAbstraktionen beherrscht werden, während sie früher voneinander abhingen. Die Abstraktion oder Idee ist aber nichts als der theoretische Ausdruck jener materiellen Verhältnisse, die Herr über sie sind« (MEW 1974, S. 82).8Es handelt sich hierbei nicht um verständige Abstraktionen in der Art vonGattungsbegriffen (Apfel, Birne und Banane sind alle Obst), sondern ummateriell wirksame, durch eine bestimmte soziale Praxis bedingteReal-Abstraktionen (Alfred Sohn-Rethel). Ausbeutung erfolgt als geldvermittelte nunmehr in fetischisierter Form:Der Lohn erscheint als Preis der Arbeit, während er doch Preis der Ware Arbeitskraft ist. Diese verrichtet – neben der zur Deckung ihrer Reproduktionskosten notwendigen – noch unbezahlte Mehrarbeit, die denMehrwert produziert, der sich im Profit darstellt. Der Fetischismus der ökonomischen Formen verschleiert allerdings nicht bloß ein im Grundefeudales Ausbeutungs- und Klassenverhältnis, ist nicht moderner»Oberflächenschleier« eines historischen Kontinuums von Klassenkämpfen.Die Mystifizierung der Ausbeutung ist lediglich ein Aspekt desFetischismus; in dieser Hinsicht ist er für den Kapitalismus nichtspezifisch, denn auch religiös-fetischistische Ordnungen zeigen diesesVerschleierungsmoment.Zentrale Bestimmung des modernen Fetischismus ist vielmehr die allgemeineVerselbstständigung der sozialen Beziehungen auf Basis einer realen,materiell- objektiv und nicht bloß ideell-subjektiv wirksamen Verkehrung.Diese Verkehrung beinhaltet die Verselbstständigung desAusbeutungsprozesses gegenüber den Kapitalisten, die ihn exekutieren.Indem die Produktion sich selbst zum einzigen Zweck gerät, büßt Ausbeutungin kapitalistischer Form das rationale Moment vor-kapitalistischerHerrschaft ein.Im Vergleich mit einem feudalen Herrscher ist das sinnliche Leben einesdurchschnittlichen Kapitalisten oder Managers deshalb geradezu armselig,lassen sie doch nicht primär um ihres Genusses, sondern um der Produktionwillen produzieren.Die Konstitution und das Handeln sozialer Akteure behandelt die Kritik derpolitischen Ökonomie bloß insoweit, als diese »Personifikationökonomischer Kategorien, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen undInteressen« (MEW 23, S. 16) darstellen. »Die ökonomischen Charaktermaskender Personen« sind dabei »nur die Personifikationen der ökonomischenVerhältnisse (...), als deren Träger sie sich gegenübertreten« (a. a. O.,S. 100), schein-persönliche Repräsentation gesellschaftlich gültigerAbstraktionen also. In diesem Sinn ist der einzelne Kapitalist »bewussterTräger« der Wertbewegung, und »nur soweit wachsende Aneignung desabstrakten Reichtums das allein treibende Motiv seiner Operationen,funktioniert er als Kapitalist oder personifiziertes, mit Willen undBewusstsein begabtes Kapital« (a. a. O., S. 167).Der Verkehrung der sozialen in sachliche Beziehungen entspricht diePersonifikation der sachlichen Zwänge.Als mit Willen und Bewusstsein begabtes Kapital organisiert der Kapitalistden Verwertungsprozess, die Auspressung des Mehrwerts, der sich inMehrgeld darstellt als fetischisierte, schein-gegenständliche Formunbezahlter Mehrarbeit. Die in einem doppelten zynisch-realen Sinne»freien Lohnarbeitenden« (vgl. a. a. O., S. 183) – einerseits frei vonMitteln, ihre Subsistenz zu sichern und frei, ihre Arbeitskraft zuverkaufen andererseits – fügen sich unter dem sachlichen Zwang derVerhältnisse zum Selbstverkauf dem Kommando des personifizierten Kapitals,das alles daran setzt, soviel Mehrarbeit wie möglich auszupressen. Dasdirekte Herrschaftsverhältnis in der Produktion ist zwar von derindirekten Herrschaft der Wertform durchaus unterschieden, doch ist eskein persönliches, insoweit der Kapitalist lediglich als Repräsentant desKapitals agiert.Die bürgerlichen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeitverletzt dies wohlgemerkt in keiner Weise. Vielmehr ist »der Austausch vonTauschwerten (...) die produktive, reale Basis aller Gleichheit undFreiheit. Als reine Ideen sind sie bloß idealisierte Ausdrücke desselben(...)« (Marx, 1974, S. 156). Denn der Kapitalist bezahlt den Tauschwertder Ware Arbeitskraft wie jeder anderen auch und erhält dafür das Recht,ihren Gebrauchswert, der in der Produktion von Tauschwert besteht, zukonsumieren.Markt und KapitalInsofern die Marxsche Wert- und Kapitaltheorie den Nachweis führt, dassder Formenkomplex Wert-Ware-Geld-Kapital den gesellschaftlichenZusammenhang in einer verselbstständigten, gegen konkreteProduktionszwecke und -inhalte gleichgültigen, und deshalb destruktivenWeise herstellt, entzieht sie Vorstellungen eines »sozialen« oder»ökologischen Kapitalismus « ebenso wie dem Konzept einer »(öko)sozialenMarktwirtschaft« die theoretische Grundlage. Kurz gefasst: Die Übel desKapitalismus abschaffen und den Markt – zumal als bestimmendeBeziehungsform – erhalten zu wollen ist ein unmögliches Projekt.Zwar hat es Märkte auch in vormodernen Gesellschaften gegeben, doch vorrangig an den »Rändern der Gemeinwesen« (Karl Marx), dort also, woMenschen begannen, einander als Fremde zu betrachten. Der verallgemeinerteTausch ist gewissermaßen eine Verallgemeinerung des Einander- Fremd-Seins.Die Vermittlung des gesellschaftlichen Stoffwechsels über den Tauschwiderspricht einer Koordination desselben auf Basis einer bewussten Kollektivität. Denn der Tausch setzt den Menschen als isoliertes Individuum ebenso wie den gesellschaftlichen Reichtum in Form desPrivateigentums voraus. Sofern Menschen kooperieren – in der Familie, in der Fabrik, im Rahmen dertraditionellen Agrargemeinschaft, in den mannigfachen Bereichen des Ehrenamts, der Wissenschaft, aber auch in der Freien Software-Produktion–, existiert wohl ein Wechsel von Stoffen und von Informationen zwischenden Individuen, jedoch es existiert kein Tausch (vgl. Schandl, 1999). Grundsätzlich unterscheiden sich vormoderne Gesellschaften mit Märkten vonder kapitalistischen Marktgesellschaft (Karl Polanyi) dadurch, dasserstere weder einen Arbeitsmarkt noch eine umfassende Konkurrenz, nochauch eine freie Verwendung der Produktionsmittel kennen.9Die bewusste Koordination des gesellschaftlichen Stoff- und Energieflussesjedenfalls kann schwerlich auf vor- und nichtmoderne Marktformen alsAlternative zum modernen Markt zurückgreifen. Denn jene bewerkstelligendie stofflich und geographisch eng begrenzte Vermittlung von isoliertenSubsistenzwirtschaften, die keine wesentlichen direkt-kooperativen Bezügeaufweisen. Als Medium einer gesamtgesellschaftlichen Koordination scheidensie damit aus. Der Wunsch nach einer »Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapital« jedoch ist eine breitenwirksame Vorstellung, die nicht erst die Globalisierungskritik aus der Taufe gehoben hat. So will die auf denAnarcholiberalen Silvio Gesell zurückgehende und von Proudhon beeinflusste Freiwirtschaft den Kapitalismus überwinden, indem das Geld vom Zins »befreit« wird auf dem Wege einer »Degradation des Geldes« zur»verderblichen Ware«.10 Ähnlich der Ökofeminismus, sofern er »lokale Märkte in Frauenhand « als emanzipatorische Leitvorstellung propagiert und damit voraussetzt, dass Geld nicht auch als Kapital, sondern bloß als »pfiffig ausgedachtesAuskunftsmittel« funktioniert – es ist kein Zufall, dass sich der freiwirtschaftliche und der ökofeministische Diskurs in dieser Frage überlappen. Die Widersprüche der Stundenzettelökonomie sind auch in Hinblick auf die in diesen Zusammenhängen propagierten Tauschkreis- und Lokalmarktmodelle lehrreich, sofern diese den Tausch zu gleichen, von der Arbeitszeit bestimmten Werten garantieren wollen bzw. voraussetzen. Solche Modelle sind praktisch wenig mehr als Notfallsökonomien auf niedrigem materiellen Niveau oder aber begrenzte Experimente mit enger Perspektive. Denn sobald kooperative Warenproduktion (Fabrik, Betrieb) existieren würde, wäre entweder die Bezahlung der Arbeitskraft vonnöten, also der »Austausch« zwischen Kapital und Arbeit, folglich die Aneignung unbezahlterMehrarbeit, der Zwang zu Mehrgeldproduktion, Konkurrenz usw. gesetzt; oder aber ein despotischer Apparat in der Art der Proudhonschen Tauschbank.11

Das System der Trennungen
Historisch betrachtet finden wir Ware, Geld und Wertbewegung inverallgemeinerter – genauer: sich fortlaufend verallgemeinernder – Formerst ab jener Epoche, die gemeinhin als jene der industriellen Revolutionbezeichnet wird. Dabei handelte es sich im Kern freilich nicht um einetechnische Revolutionierung, sondern eine tiefgreifende soziale Umwälzung.Kapitalistische Produktion gründet sich historisch auf der Auslöschung vonSubsistenzproduktion, der Herauslösung der Individuen aus traditionellenSozialbeziehungen, ihre – geschlechterspezifisch segmentierte –Integration in das System von Kauf und Verkauf, die Kommodifizierung dermenschlichen Lebenszeit in Form der Arbeit.Die Durchsetzung des Kapitals als bestimmendes gesellschaftlichesVerhältnis ist ein umfassender Prozess der Trennung. Dieser Prozess istdreifach dimensioniert. Es handelt sich: erstens um die Trennung derIndividuen voneinander – da sie sich nun nicht mehr direkt, sondern überden Umweg von Kauf und Verkauf, als »Hüterinnen ihrer Waren undGeldbeträge «, aufeinander also erst vermittelst des Bezugs auf einaußerhalb ihrer existierendes Drittes beziehen; zweitens die(real-paradoxe) Trennung von sich selbst – da sie sich zu sich selbst wiezu außerhalb ihrer selbst befindlichen Objekten verhalten, wenn sie Teileihrer Lebenszeit und -energie auf dem Arbeitsmarkt verkaufen und folglichden Lebenszusammenhang in Arbeit und Freizeit, in Öffentlichkeit undPrivatheit separieren; drittens die Trennung von ihren Lebens- undProduktionsmitteln – da sie erstere gegen Geld erwerben und sich demKommando der Besitzer zweiterer unterwerfen müssen, um zu Geldeinkommen zugelangen.Verallgemeinerte Trennung der Individuen und Privatisierung der Produktionfür einen gesellschaftlichen Bedarf begründen zugleich einen neuensozialen Zusammenhang, der sich über das Geld, die dingliche odersymbolische Darstellungsform des Werts, herstellt. Genau diesewidersprüchliche Einheit von Trennung und Vermittlung charakterisiert diebürgerlich- kapitalistischen Beziehungen: Vermittlung desgesellschaftlichen Stoffwechsels in einer fetischistischen Form, über eineObjektivation, oder, noch einmal anders gesagt: über einevergegenständlichte Projektion. Die Gesellschaft atomisiert sich zum einenund zum anderen vereinen sich die atomisierten Individuen über die Weltder Waren und des Geldes.Warenproduzierendes PatriarchatDie Kritik der politischen Ökonomie ist weder Gesellschaftstheorie nochgeschichtliche Untersuchung. Allerdings findet eine Perspektive, die dasGesamt der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Blick bekommen und inBeziehung setzen will, an ihr die notwendigen begrifflichenAusgangspunkte. Dies deshalb, weil »die Ökonomie« als Kern derbürgerlichen Verhältnisse erscheint, insofern der Wert eineabstrakt-allgemeine Vermittlung der Individuen konstituiert. Dass dieSphäre der Wertverwertung bloß abhängiges Teilmoment dieser Verhältnisseist, zeigt sich allerdings bereits an der Kategorie des Werts selbst. Denn»der Grundwiderspruch der Wertvergesellschaftung von Stoff (Inhalt, Natur)und Form (abstrakter Wert) ist geschlecherspezifisch bestimmt« (Scholz,1992, S. 23).Was in der abstrakten Form des Werts an Konkret-Sinnlichem nicht aufgehtwird demnach abgespalten und als weiblich halluziniert. HäuslicheTätigkeiten, »Liebe«, Sinnlichkeit, »Emotionalität« und Pflege als unver-zichtbare Grundlagen sowohl der Reproduktion des Kapitals als auch derSubjekte fallen damit in einen Privatbereich, der den Frauen zugewiesenwird und der als »weiblich« gilt. Die Wert-Abspaltung (Scholz, 1992; 2000)erweist sich als ein übergreifendes gesellschaftliches Verhältnis,innerhalb dessen die Form der Wertvergesellschaftung verwiesen bleibt aufden von ihr selbst konstituierten »Schatten«, auf ihr »eigenes Anderes«,das sie zugleich diskriminiert.»Frau« und »Mann« sind in dieser Hinsicht »sexuelle Charaktermasken «(Robert Kurz), Bündelungen kollektiver Zuschreibungen von bestimmtenQualitäten (Gender) an binär gefasste biologische Geschlechter (Sex).Gender ist in diesem Sinn eine weitere Fetischform, in dergesellschaftliche Verhältnisse in eine scheinbare Natureigenschaft derPersonen verkehrt sind. Allerdings erlaubt die patriarchaleHeterosexualität prinzipiell ein flexibles Changieren und dieNeukomposition von Rollenfragmenten und Gender-Attributen – ein Phänomen,das die postmoderne Verfasstheit des Geschlechterverhältnisseskennzeichnet, ohne allerdings der fortdauernden Benachteiligung vonbiologischen Frauen zu widersprechen (vgl. Scholz, 2000).Mit der Auflösung der starren Rollenbilder des Fordismus und derrechtlichen Gleichstellung der Frauen bildet sich vor allem in denkapitalistischen Zentren tendenziell ein »Ein-Geschlecht-Modell« heraus(vgl. Scholz, 2005 u. a.; vgl. Kurz, 2003b). Männer müssen nun »weiblicheQualitäten« (emotionale, kommunikative, »kultur-kreative« undTeam-Fähigkeiten sowie Flexibilität) entwickeln, während Frauen beruflichaufschließen, sofern sie sich strukturell »männliche«, konkurrenzistischeFähigkeiten aneignen und mit »weiblichen Qualitäten« nun ökonomischpunkten können. Für die Mehrzahl der Frauen, die weiterhin für reproduktive Tätigkeiten zuständig gemacht werden und die »weibliche Sorgearbeit« nicht an weibliche Hausarbeitskräfte (meist Migrantinnen) auslagern können, ist dieser Spagat freilich kaum zu leisten. Darüber hinaus bedeutet das »Ein-Geschlecht-Modell« eine Verschärfung sozio-psychischer Krisenphänomene. Der von der Konkurrenz geschützte »häusliche Bereich« der »weiblichen Sorgearbeit«, in dem eine »Logik der Zeitverausgabung« (Frigga Haug) gilt, erodiert. Im Gegenzug nimmt die ökonomische Zeitsparlogik »weiblicheQualitäten« in Beschlag, die sie betriebswirtschaftlich formiert (dazudienen u. a. »Gefühlsmanagement«, »Persönlichkeitsentwicklung « usw.) und(ver)nutzt. Damit steigen die psychischen Belastungen der »individualisierten Individuen«, es verschlechtern sich die Sozialisationsbedingungen der Kinder und zugleich erodieren die (repressiven) Grundlagen von tragfähigen erotischen Beziehungen unter bürgerlich kapitalistischen Verhältnissen.

Der Widerspruch zwischen Integration und Trennung - Krise
Im historisch spezifischen Widerspruch einer arbeitsteiligenPrivatproduktion, zwischen umfassender Integration der Individuen über dieWertform also und ihrer gleichzeitigen Trennung als Warensubjekte liegtdie Notwendigkeit von Störungen und Brüchen in der Reproduktion dersozialen Beziehungen begründet.12 Aus der gegenläufigenVerselbstständigung von Momenten der erweiterten Reproduktion des Kapitals(seiner Akkumulation) resultieren ökonomische Krisen. Kauf und Verkauf,Produktion und Konsumtion bilden zusammengehörige Momente der Reproduktiondes Kapitals und damit der Herstellung von Gesellschaft unter seinerHerrschaft.Aufgrund der Eigendynamik und Verselbstständigung dieser Momente kommt esimmer wieder zu Ungleichgewichten, zu Unterbrechungen und Störungen derReproduktion des Kapitals, also der Produktion von Profit.13 Die Kriseselbst bereinigt diese Ungleichgewichte auf gewaltsame Weise, indemKapital vernichtet wird. Allgemein gesagt: sie stellt den innerenZusammenhang des äußerlich Selbstständigen immer wieder aufs Neue her.Das Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse (Akkumulationsdynamik, Natur-und Geschlechterverhältnisse, politische, institutionelle undsymbolisch-kulturelle Formen usw.) ist ebenso wenig bewusst koordiniertwie die Reproduktion des Kapitals. Gegenläufige Entwicklungen diesermiteinander verbundenen, jedoch gegeneinander verselbstständigtenVerhältnisse bedingen daher gesellschaftliche Krisen. Im Unterschied zu»bloß« ökonomischen, »kleinen« Krisen folgt einer »großen«,gesellschaftlichen Krise nicht notwendigerweise Stabilität (vgl. Lipietzin: Becker, 2002, S. 92). Eine stabile Regulationsweise, die erfolgreicheProzessierung der Widersprüche und eine Kohärenz gesellschaftlicherVerhältnisse ist vielmehr historische Fundsache (Alain Lipietz). Sie kannsich etablieren – oder auch nicht.Die Unselbstständigkeit von Kapital und StaatFreilich existiert das Kapital nicht aus sich selbst heraus und für sichallein, sondern ist auf eine Reihe gesellschaftlicher »Rahmenbedingungen«angewiesen. 14 Kapitalistische Produktion benötigt erstens den Staat zurHerstellung bzw. Sicherung der nicht-profitablen Produktionsgrundlagen,also der geschlechtsspezfischen Funktionsteilung,15 von Teilen derInfrastruktur u. a. Darüber hinaus kanalisiert oder unterdrückt der Staatsozialen Widerstand und ist Akteur wie Terrain zur Sicherung deskapitalkonformen Ausgleichs sozialer Kräfte. Das Kapital ist zweitens aufzivilgesellschaftliche Institutionen (Medienunternehmen, reformistischeGewerkschaften, Unternehmerverbände usw.) zur Sicherung seiner Hegemonieangewiesen. Drittens benötigt es die systemkonforme Eigenleistung derIndividuen.Wir müssen Kapitalismus in einer bestimmten Weise wollen, damit erexistieren kann. Und wir »wollen« gewissermaßen zwangsläufig: Ohne Arbeitkein Geld und ohne Geld kein Einkauf. Diese Eigenleistung äußert sichneben der praktischen Anerkennung kapitalistischer Spielregeln auch inideologischen Formen, der mehr oder minder bewussten ideellen Affirmationder Verhältnisse.Ebenso wie das Kapital ist auch der Staat als eine Fetischform zubegreifen, ein dinglich erscheinender Reflex von sozialen Beziehungen, diein einer historisch spezifischen Weise widersprüchlich sind. Ähnlich wieim Fall des Werts changiert die bürgerliche Theoriebildung zwischensubjektivistischen und objektivistischen Staatstheorien. Während erstereden Staat als ein Produkt gesellschaftlicher Übereinkunft denken,missverstehen zweitere ihn als ein Objekt. Diese Position will Staat alsein der Gesellschaft äußerliches Steuerungszentrum verstehen und siehtdarin ein neutrales Instrument, das einem beliebigen Interesse dienstbargemacht werden kann (Poulantzas, 2002, S. 157ff.).16Tatsächlich ist der kapitalistische Staat – und nur unter kapitalistischenVerhältnissen existiert Staat im engen Sinn als ein von Gesellschaftunterschiedener Herrschaftsapparat – »als ein Verhältnis, genauer als diematerielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses zwischen Klassen undKlassenfraktionen« zu fassen (Poulantzas, 2002, S. 159; kursiv A. E.).Dies bedeutet, dass der Staat kein »monolithischer Block«, sondern voninneren Widersprüchen durchzogen ist (a. a. O., S. 163), staatlichePolitik somit »als Resultante der in die Struktur des Staates (...) selbsteingeschriebenen Klassenwidersprüche« verstanden werden muss (a. a. O.).17Er ist sowohl strategisches Feld als auch »ein Ort und Zentrum derMachtausübung, besitzt selbst jedoch keine eigene Macht« (a. a. O., S.179), denn diese kann nur aus gesellschaftlichen Verhältnissen resultierenund nicht aus ihren Objektivationen.Die Fetischform Staat ist Resultat einer zur Wertform analogen Verkehrunggesellschaftlicher in sachliche, schein-objektive Verhältnisse: »Die Machtdes Staates stammt also aus der Gesellschaft (...), während es geradeInbegriff der Staatsform ist, diese Macht zu verkehren und derGesellschaft als eine ihr fremde Macht entgegenzustellen« (Görg, 2003, S.162). Wie die Geldform den allgemeinen, abstrakten Reichtum in besondererGestalt dar- und der Warenwelt gegenüberstellt, so existiert im Staat dasgesellschaftlich Allgemeine als ein von der Gesellschaft Abgesondertes.Die bürgerliche Gesellschaft nämlich ist aufgrund ihrer Spaltung nachKonkurrenz und Klasse nicht zur Bestimmung eines konkretengesellschaftlichen Allgemeinen fähig (vgl. a. a. O., S. 160).Deutlich wird der historische Charakter der Staatsform im Vergleich mitfeudalen Verhältnissen. Dort existiert eine Trennung von politischer undökonomischer Sphäre nicht, denn die Aneignung des Arbeitsprodukts erfolgtdurch persönliche Herrschaft und in stofflicher Form, womit sichpolitischer Zwang nicht von ökonomischer Herrschaft unterscheidet.Staat bzw. Politik und Wert bzw. Ökonomie bilden die beiden Grundformenbürgerlich-kapitalistischer Vergesellschaftung. Sie stehen in einemwidersprüchlichen Verhältnis, und zwar insofern, als der Staat dazutendiert, die Bewegung des Kapitals einzuschränken, andererseits abergerade von der fiskalischen Abschöpfung des Mehrwerts abhängig bleibt. Füremanzipative Praxis bedeutet dies: dass der Staat immanenter Bestandteilder kapitalistischen Produktionsweise und als solcher zwar Adressatemanzipativer Kämpfe ist, jedoch nicht Akteur einer Überwindung dieserProduktionsweise sein kann. Überwindung des Kapitalismus ist nur zugleichmit der Überwindung der Staatsform denkbar.Die Krise des FordismusSofern die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft temporär stabilbleibt, wirkt eine Vielzahl an Bedingungen kohärent zusammen. DieserBedingungszusammenhang ist hochgradig prekär, wie gerade auch diegegenwärtigen Entwicklungen illustrieren. Sind doch die letzten dreißigJahre von der krisenhaften Auflösung des fordistischen Kapitalismusgeprägt, für den ein relativ stabiles Regime der produktiven Akkumulationund eine Regulationsweise der gesellschaftlichen Widersprüche durchReallohnsteigerungen, Binnenmarktwachstum, den Ausbau vonSozialstaatlichkeit und korporatistischer Strukturen charakteristisch war(vgl. Hirsch, 2002, S. 84ff.).Dieser Krisenprozess begann Anfang der 1970er Jahre. Nachlassende und sichverteuernde Produktivitätszuwächse, daraus resultierende Arbeitslosigkeit,Überkapazitäten in der Produktion, Ölpreissteigerungen und der Einbruchder US-Hegemonie aufgrund sich vertiefender Widersprüche zwischen dennationalen Akkumulationsregimen bildeten »objektive Krisentendenzen«.Damit stand teilweise auch eine breite soziale Rebellion (1968er-Bewegung,Neue Soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe) in Verbindung. Sie konstituiertedie kollektive Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Krise wesentlich mit,beschleunigte auf diese Weise den Auflösungsprozess der altenRegulationsweise und beeinflusste ihn selektiv mit ihren Themen(Feminismus, Ökologie, Autonomie, Kreativität).Dieser Krisenprozess vertieft sich noch mit dem Rationalisierungsschub derMikroelektronik ab den 1980er Jahren und dem anhaltenden Anstieg derKapitalintensität, der warenproduktive Investitionen fortlaufendverteuert. Der Erhalt von Konkurrenzfähigkeit wird massiv erschwert,während zugleich ein Aufholen der Verlierer immer schwieriger wird.Perspektiven der Emanzipation - Grenzen und MöglichkeitenDie fordistische Regulationsweise war repressiv und rigide. Sie zeichnetesich allerdings durch eine relative Stabilität und hohe Akkumulationsratenaus und konnte so eine innerkapitalistische Perspektive vonfortschreitender Integration in Warengesellschaft und Rechtsbeziehungbieten. Im Zuge des postfordistischen Krisenprozesses lösen sich dieseGrundlagen einer »relativen Emanzipation« auf. Ein stabilesAkkumulationsregime ist nicht in Sicht, das Kapital weicht auf dieglobalisierten Finanzmärkte aus, die Akkumulation fiktiven Kapitals18erzeugt neue Krisenpotenziale in globaler Dimension. Mit dem Rückgang derproduktiven Akkumulation und der Transnationalisierung des Kapitalsverliert der Staat seine finanziellen und ideologischen Möglichkeiten zurBefriedung sozialer Konflikte ebenso wie die fordistischen Spielräume zurRegulierung von Produktion und Verteilung.Das gilt insbesondere für die Regionen einer gescheiterten »nachholendenModernisierung«, die schon frühzeitig auf dem Weg der Durchkapitalisierungder Gesellschaft stecken geblieben sind und der Staat zerfällt hierregelrecht mangels Einnahmen in mafoöses Strukturen. Der Tendenz nach istdies auch im globalen Nordwesten zu beobachten, wenn auch noch auf höherem»zivilisatorischen Niveau«.Insoweit es den Einzelnen immer schwerer fällt, sich in der Form der Warezu reproduzieren und materielle Gratifikationen Stück für Stückzurückgenommen werden, steigt auch das Systemrisiko sozialerWiderständigkeiten. Um die Warenform zu sichern, verstärkt der Staat dieRepression durch direkte Gewalt und Ausgrenzung. Diese Tendenz zurEntformung der bürgerlich-patriarchalen Verhältnisse ist zuerst einmaleine unmittelbare Bedrohung der gesellschaftlichen Reproduktion, die sichdarin vollzieht.Denn die Krise ist unter kapitalistischen Vorzeichen selbst noch eineFetischform; sie erscheint prima vista als katastrophisch-selbstläufigerNaturprozess und nicht als Resultat historisch spezifischergesellschaftlicher Verhältnisse. Das Bedrohungspotenzial dieserEntformungsprozesse ist daher keineswegs gering (vgl. z. B. Kurz, 2003a).Dies zeigt sich auf mehreren Ebenen.Erstens neigen die Warensubjekte in der Krise dazu, konkurrenzistischesVerhalten fortzusetzen. Wo die Konkurrenz um Arbeitsplätze und Profit inden so genannten zivilisierten Formen von Recht und Verkauf nicht mehrmöglich ist, mündet Krise deshalb der Tendenz nach in eine – an denglobalisierten Kapitalismus strukturell gebundenen – »Ökonomie der Gewalt«auf niedrigem materiellem Niveau (Münkler, 2003). Eine besondere Rollespielen dabei die trocken gelegten Staatsapparate und gescheitertennationalen Befreiungsbewegungen der (Semi-)Peripherie, die sich nun mitWaffengewalt ökonomisch über Wasser halten.Zweitens modifizieren sich die Fetischverhältnisse und beeinflussen soauch den Verlauf des Krisenprozesses. Sie dienen der sozio-psychischenVerarbeitung der Krisenerfahrung und stabilisieren bzw. strukturierendiverse Elendsvarianten der materiellen Reproduktion: das Patriarchaterfährt eine Neuformierung, wenn die patriarchale Kleinfamilieverschwindet, die männliche Arbeits- und Geldidentität an der ökonomischenRealität zerbricht und sich die soziale Verantwortung damit vollends»feminisiert«; die Globalisierungsverlierer flüchten massenhaft in diehochaggressive Gemeinschaft einer fundamentalistisch »modernisierten«Religion; Rassismus und Antisemitismus erfahren weltweit eine Konjunktur.Drittens sichert die Weltmacht USA infolge ihres Hegemonieverlusts dieVormachtposition, den Rohstoffzufluss usw. vermehrt mit militärischerGewalt. In diesem Lichte erscheint die Feststellung, es hätte sich einlängerfristig stabiler Kapitalismus »im idealen Durchschnitt« etabliertebenso problematisch wie die Behauptung, wir stünden kurz vor dem»Zusammenbruch« der kapitalistischen Produktionsweise.Mit der Totalisierung von Warenform und Verwertung, die bloß dem Scheinnach universell und selbstgenügsam sind, tatsächlich aber auf ökologischenund sozialen Grundlagen ruhen, die sie selbst herzustellen nicht in derLage sind, ist zwar zugleich auch deren Selbstdestruktion gesetzt. Diesführt jedoch ebenso wenig in das unstrukturierte Chaos einer»verwildernden« Herrschaft wie es »dem Begriff des Kapitalismus«entspricht, wenn sich die Konkurrenz aus ihrem formellen Rahmen zurdirekten Gewalt entbettet oder wenn staatliche Apparate zu marodierendenBanden mutieren. Noch viel weniger aber bedeutet es einen »automatischenSprung in die Emanzipation«.Vielmehr zeichnen sich die Konturen einer möglicherweise lang andauernden»Agonie der Warengesellschaft« (Jappe, 2005, S. 242) ab; und es istschwerlich auszuschließen, dass sich historisch neue repressive sozialeFormen etablieren.Die asynchrone Dynamik einer Vielzahl miteinander verbundener und sichwechselseitig abstützender Fetischverhältnisse bedeutet allerdings auch,dass sich Herrschaft prekarisiert.19 Sie schafft damit die objektivenVoraussetzungen einer Emanzipation, die weiter geht als in den relativformstabilen Phasen des Kapitalismus. »Niemals in der Geschichte« istdeshalb »der bewusste Wille der Menschen so wichtig gewesen« (a. a. O.)wie im Zerfallsprozess der gesellschaftlichen Objektivationen. Hier findetkritische Theorie als Destruktion der gesellschaftlichen Objektivitationenihre Grenze, dort nämlich, wo kollektives Handeln sich von eben diesenSchein-Objektivitäten zu befreien sucht.Entstehung und Verlauf solcher Handlungsweisen können deshalb, abgesehenvon ausgesprochen allgemeinen Aussagen, auch nicht theoretisch abgeleitetoder prognostiziert werden.Emanzipation von bewusstlosen Verhältnissen ist per definitionem nur alsbewusster Formbruch denkbar und kann sich weder auf immanente Tendenzender kapitalistischen Produktionsweise noch auf krude, per sefetischimmanente »Interessenskämpfe« (für mehr Lohn, Arbeitsplätze usw.)stützen.20 Allerdings können auch bewusstlos etablierte Praxen wie etwadie Freie Software-Produktion mögliche Anknüpfungspunkte und kreative Ortefür anti-fetischistische Bewegungen sein. Immanente Kämpfe sind dabeiwichtig, doch emanzipatorischen Charakter gewinnen sie erst in Verbindungmit einer Perspektive, die nicht die Bewegung in den Fetischformenbezweckt, sondern daraus quasi zeitlich begrenzte Mittel für die Befreiungaus der Form ziehen will.Entscheidend wird dabei, ein »ethisches Kraftfeld« auf der Grundlage vonVerbundenheit, Respekt und Achtsamkeit zu generieren, das den Mut zurVeränderung und soziale Kreativitäten stimuliert. Eine solche mit derWarenform nicht verträgliche Ethik muss sich auch in materielle Praxenumsetzen, die handfeste Lebensqualitäten erzeugen und damit zugleich dieemotionellen Haltungen und Handlungsorientierungen einerpost-kapitalistischen Vergesellschaftung stabilisieren können.Emanzipation in OrganisationIm Unterschied zur lokal-subsistenten Produktion vor- und nicht-modernerGesellschaften spielt unter modernen Verhältnissen die Kooperation derIndividuen im Weltmaßstab und das in Maschinerie und Infrastrukturverkörperte Wissen vergangener Generationen die produktive Schlüsselrolle.Die Möglichkeiten der Produktion von materiellem und Beziehungsreichtumsind damit weit über das historisch bekannte Maß gewachsen. DieseMöglichkeiten sind allerdings in vieler Hinsicht bloß vorstellbarePotenzen. Sie wären erst einmal zu entwickeln und können nicht einfach inder Befreiung von einer äußerlich gedachten sozialen Form bestehen. Indiesem Sinn verkürzt die traditionell-marxistische Rede vom »Widerspruchzwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen«, der imKommunismus lediglich »aufzuheben« sei das Problem entscheidend.Tatsächlich hat der Kapitalismus beispiellose Destruktivkräfte(Kriegführung, Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen,Lebensfeindlichkeit der sozialen Verhältnisse) hervorgebracht, die eineeinfache Fortführung der bestehenden Technologien und sozialenOrganisationsweisen verbieten. Der Begriff einer abstrakten»Produktivkraft« selbst ist bloß Ausdruck der Wertverwertung, keinpositiver Anknüpfungspunkt von Emanzipation. Deshalb sind auch diedominanten Vorstellungen des Marxismus problematisch, die davon ausgehen,dass es »nur« eines kollektiven Akts der Bewusstwerdung bedarf, um dengesellschaftlichen Charakter der Produktion von einer bloß äußerlichgedachten »Hülle von Kapital und Privateigentum« im Klassen- kampf zubefreien.Das bewusste Zusammenwirken einer großen Anzahl von Menschen im Sinneihrer kollektiven Zwecksetzungen zu organisieren ist tatsächlich eine weitgrößere Herausforderung. Denn Gesellschaftlichkeit stellt sich unterkapitalistischen Verhältnissen über eine fetischistische Form her. Mitihrer Auflösung fallen die Individuen daher der Tendenz nach auf einniedrigeres Niveau der Vergesellschaftung zurück. Zwar ruht diepostfordistische Produktion auf einem höheren Maß an kooperativerEigenleistung als unter fordistischen Bedingungen. Doch realisiert siesich in bestimmten gesellschaftlichen Formen, die dieser Kooperation nichtäußerlich sind.Die Herausforderung ist auf der anderen Seite aber auch geringer. Denn eskann nicht darum gehen, ein ökologisch destruktives und sozial sinnlosesNiveau der materiellen Integration auf globaler Ebene aufrechtzuerhalten.Vielmehr wäre es vonnöten, Integration dort auf neuer Grundlage zuentwickeln bzw. nach Maßgabe bewusster Zwecksetzungen selektivfortzuführen, wo der Widerstand gegen den globalen Kapitalismus sieerfordert, sie für die Herstellung von High-Tech und kollektivem Wissensowie die Bewältigung der kapitalistischen Verheerungen notwendig ist undder kulturellen Bereicherung dient.Entfaltung zum BeziehungsreichtumDie Krise zeigt, dass Menschen ihr grundsätzliches Aufeinander-Angewiesen-Sein zwar leugnen, ihm jedoch nicht »entkommen« können, dass diekollektiven Projektionen an Funktionalität verlieren, wachsende Schmerzenproduzieren und an Stabilität einbüßen. Die Tatsache allseitigerVerbundenheit holt uns immer wieder ein – ob wir wollen oder nicht.Emanzipation würde in diesem Sinn auch bedeuten, wechselseitigeAbhängigkeit, die sich in der Krise gewaltsam geltend macht, zu erkennenund das Handeln entlang dieser Einsicht neu zu orientieren. Es ginge danndarum, die Projektion unseres gesellschaftlichen Zusammenhangs, unseresAufeinander- Angewiesen-Seins zurückzunehmen, die versachlichten Zwängevon Ware und Verwertung zu überwinden, indem wir unser Zusammenlebenbewusst und koordiniert gestalten.Die sich manifestierenden inneren Widerstände, sich aufeinander direkteinzulassen, sind dabei nicht zu unterschätzen. Die Fähigkeit,wechselseitige Abhängigkeit zu erkennen und bewusst zuzulassen ohne einander der individuellen Anerkennung zu berauben, muss vielfach erst entwickelt werden. Genau darin bestünde nämlich eine autonome Individualität, die sich von der scheinbaren Autarkie des unterschiedslosen Warensubjekts im Grundsatz unterscheidet. Ihr Ziel wäre ein Reichtum an Beziehungen, der es erlaubt und auch voraussetzt, einander nicht als Grenze zu empfinden, sondern vielmehr als Bedingung und Erweiterung der je eigenen Entfaltungsmöglichkeiten.

Anmerkungen
1 Mit dem Begriff der Selbstorganisation wird ein ursprünglichbiologisches Konzept aufGesellschaftliches übertragen, vielfach in affirmativer Absicht. Markt undKapital bildenin diesem Sinne ihren Inbegriff. Unter diesem Vorbehalt greife ich denBegriff derSelbstorganisation zwar positiv auf, möchte im Folgenden jedoch dasProblem der historischenFormbestimmung sozialer Organisation in den Vordergrund stellen. Derspringende Punkt ist nämlich nicht die Selbstorganisation als solche,sondern vielmehrdie Frage, ob Selbstorganisation in den bestehenden sozialen Formenerfolgt oder nicht.2 So bezeichnet er den Wertbegriff als den »abstrakteste(n) Ausdruck desKapitals selbstund der auf ihm ruhenden Produktionsweise« (Marx, 1974, S. 662).3 Hier ist vorerst einmal vom Wertbegriff, das heißt von Wert als einerhistorisch bestimmtensozialen Form die Rede, weder von der Wertform (Form, die der Wert imTauschwert bzw. Geld annimmt), noch vom Inhalt des Werts (der so genanntenWertsubstanz),noch von der Wertgröße. Zur kritischen Darstellung bürgerlicherWerttheoriensiehe Heinrich (2001a und b) sowie Höner (2005).4 Zur ausführlichen Kritik der Nutzentheorie: Rakowitz, 2000, S. 39ff.5 »Sage ich, Arbeit oder Nutzen im Verein mit Seltenheit [die beidenkonkurrierendenWerttheorien der ökonomischen Wissenschaft; A. E.] bestimmt den Wert, sounterscheideich schon grammatisch Arbeit und Nutzen als Satzsubjekt vom Wert alsAkkusativobjekt;Arbeit ist Arbeit und nicht Wert, wie auch Nutzen als bestimmter Begriffvom Wert zu unterscheiden ist. Es muss also möglich sein, den Wert als Wert zu beschreiben« (Backhaus, 1997, S. 391).6 Zur Methodik der Kritik der politischen Ökonomie siehe Heinrich 2001a.7 Sichtbar wird dies erst im Tausch, weil die gesellschaftlich notwendigeArbeitszeit sowohlvom zahlungsfähigen Bedarfsvolumen als auch vom Produktionsvolumen derKonkurrenten abhängt. Beides ist vorab unbekannt, da die Produktion nichtvon vornhereinals gesellschaftliche gilt, sondern in privater Form erfolgt;ausführlicher: Heinrich,2004, S. 45ff.8 Die Kritik der politischen Ökonomie befasst sich mit Gesellschaft aufder grundlegendkategorialenEbene jener Abstraktionen. Sie behandelt »nur die innere Organisation derkapitalistischen Produktionsweise, sozusagen in ihrem idealenDurchschnitt« (MEW25, S. 839).9 Für eine ausführliche Darstellung historischer Marktformen – z. T. inkritischer Absetzungvon Polanyi – siehe Bürgin (1996; zur Problematik der Reichtumsproduktioninder griechischen Polis vgl. etwa Enderwitz, 2000).10 Zur Kritik von Freiwirtschaft und Tauschkreisen: Exner, Grohmann, 2005.11 Das Projekt einer Befreiung des Marktes vom Kapital ist auchKernbestand der Ideeeiner »sozialistischen Warenproduktion«; vgl. zu den damit verbundenenWidersprüchen:Stahlmann, 1990; Conert, 1990; Lohoff, 1996.12 Im Folgenden beziehe ich mich z. T. auf die von Becker (2002)rekonzeptualisierte Regulationstheorie.13 Ausführlicher zur Krisentheorie: Heinrich, 2001b.14 Ausführlich: Hirsch, 2002.15 Zum strukturell und nicht bloß empirisch patriarchalen Charakter desStaates siehe Genetti,2002.16 Nicht zuletzt das Scheitern sowohl des real- undentwicklungssozialistischen wie auchdes sozialdemokratischen Staatsdirigismus ist ein starkes empirischesArgument gegensolche Auffassungen. Als eine autonome Steuerungsinstanz der Gesellschaftist derStaat in der Globalisierungsära weniger denn je zu begreifen.17 Freilich spielen nicht-klassengebundene Widersprüche und soziale Kämpfedabei eineebenso wichtige Rolle.18 Akkumulation von Eigentumstiteln.19 Interessant ist diese allgemeine Feststellung auch vor dem Hintergrundder Herausbildungder kapitalistischen Produktionsweise aus feudalen Fetischverhältnissen(vgl.Becker, 2002, S. 129 und S. 39f.).20 Historisch sind diese Annahmen deshalb auch blank gescheitert; vgl. z.B. 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